Briefe aus Ghana Teil 4

Catharina-E. Comberg // Juni 2023

Das Land der Könige

Das Land der Könige (© Foto: Catharina-E. Comberg)

Catharina-E. Comberg nimmt uns mit nach Afrika und berichtet ein Jahr lang von ihrem Freiwilligendienst in Ghana. Was bisher geschah können Sie in Teil 1, in Teil 2, in Teil 3 der Seume JOURNAL Miniserie lesen.

Einst waren sie die größte Macht in Westafrika. Ihre Armee war gefürchtet und errang Sieg um Sieg in historischen Schlachten. Ihren Oberhäuptern errichteten sie Paläste. Geschäfte mit Sklaven und Gold ließen sie zu großem Reichtum und einer bedeutenden Handelsmacht aufsteigen. Obwohl sie heute nicht mehr über Ghana herrschen, haben sie überall im Land Spuren hinterlassen und spielen bis heute eine Rolle in Politik und Leben der Menschen. Die Rede ist von dem untergegangenen, aber längst nicht vergessenen, einst gewaltigen Königreich der Asante.

Dieses Kapitel der ghanaischen Kultur ist der wohl prägendste Teil der Geschichte dieses Landes und tief in seinen Traditionen verwurzelt. Es hat mich besonders in den Bann gezogen, weil es allem fremd ist, was mir zuvor begegnet ist. So lange liegt der Beginn des Volkes der Asante auch noch gar nicht zurück. Während sich im 13. Jahrhundert im mittelalterlichen Deutschland das Heilige Römische Reich ausbreitete, wanderten die ersten Akan in das Gebiet des heutigen Ghana ein. Akan ist der Sammelname für eine Ethnie, die in viele Untergruppen zersplittert ist. Die größten davon sind die Asante.

Neben den Akan-Völkern hat es viele verschiedene ethnische Gruppen zeitgleich in das fruchtbare Volta-Delta Ghanas verschlagen, jede mit ihrer eigenen Religion, Sprache, Tradition und Küche. So entstand auf engstem Raum ein buntes Gemisch, das jeder Kolonialisation und Missionierung zum Trotz bis heute Bestand hat. Im heutigen Ghana leben Ewe, Bono, Ga- Adangbe, Mamprusi, Dagomba, Wasa, Fante (bei denen ich lebe),... und eben Asante, um nur ein paar wenige zu nennen. Ein Kulturreichtum, der überwältigt.

Das Land der Könige (© Foto: Catharina-E. Comberg)

Doch seit sie vor 800 Jahren das erste Mal aufeinander trafen, gab es Rivalität zwischen den Völkern. Jedes hat einen König, ein Herrschaftsgebiet und eine Armee, um sein Königreich zu verteidigen bzw. zu expandieren. Es hat gebrodelt in Westafrika. Man eroberte fremdes Land, brannte verfeindete Dörfer nieder und entführte die Frauen des Gegners. Während dieser Clankämpfe sah der frisch ernannte Asantehene (König der Asante) Osei Tutu die Chance, sein unterdrücktes, fremdbeherrschtes Volk zu Selbstbestimmung und Reichtum zu führen. Der erbitterte Freiheitskampf der Asante begann. Sobald sie 1701 ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, führten die Asante erfolgreich Krieg gegen den Rest des Landes. Im Kampf um wirtschaftliche Vorteile, Rohstoffe und Gebiete unterwarf das junge Königreich Nachbar um Nachbar, bis ihre Streitmacht über 70% des heutigen Ghana kontrollierte. Dabei nahmen sie häufig Kriegsgefangene, die als Handelsware unter den Völkern sehr gefragt waren. Genauso betrieben die lokalen Monarchien einen schwunghaften Goldhandel, lange bevor Goldgräber und Sklaventreiber aus Europa ihren Weg an die Guineaküste fanden. Die Ankunft der Portugiesen im 15. Jahrhundert war der erste Kontakt Ghanas mit europäischen Mächten. Ihnen folgten Niederländer, Dänen, Briten, Schweden und Deutsche. Die rivalisierenden Handelsmächte etablierten lukrative Beziehungen mit den einheimischen Völkern. Ihnen wurden neue Waren, darunter Waffen, Kakaobohnen und Alkohol schmackhaft gemacht, während im Gegenzug unter anderem Elfenbein, Wildtiere und große Mengen an Gold in großem Stil nach Europa exportiert wurden. Auch die Asante verteidigten eine profitable Position in diesem Geschäft. Doch es dauerte nicht lange, bis die fremden Händler einen Schritt zu weit gingen, der fatale Folgen für das Land und die Menschen haben sollte.

Ab dem 17ten Jahrhundert gewann der Export von Menschen die Oberhand. Nicht nur, dass der Sklavenhandel an unmenschlicher Grausamkeit kaum zu übertreffen war. Er wiegelte auch die Völker Westafrikas zu großer Brutalität untereinander auf, da sie sich gegenseitig an die Sklavenhändler verkauften. Abgesehen von dieser Instrumentalisierung der Einheimischen als Sklavenjäger richteten die Europäer nachhaltig Schaden im Land an. Die westafrikanische Bevölkerung wurde stark dezimiert, ihrer Rohstoffe beraubt und durch vorsätzlich angestachelte Kriege um Sklaven anhaltender Gewalt und Zerstörung ausgesetzt. Daran erinnern bis heute die zahlreichen Festungen an Ghanas Küste, in denen die versklavten Männer und Frauen ihre letzten Wochen in ihrem Heimatland verbrachten, bevor sie über den Atlantik verschifft wurden. Heute gehört das Elmina Castle zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Elmina Castle
Elmina Castle

Mit Ankunft der Neuankömmlinge aus Europa sollten auch für die Asante unruhige Zeitenanbrechen. Bis Sklaverei 1833 in Großbritannien verboten wurde, erlangten allen voran die Asante durch Handel mit den Ausländern große Macht und Reichtum. Von nun an veränderte sich die geschäftliche Partnerschaft jedoch schnell in erbitterte Feindschaft. Britische Kräfte wollten die Expandierungskriege der Asante Richtung Süden unterbinden, um die friedliche Handelsumgebung sicherzustellen. Als die Briten sich dafür mit den Feinden des Königreichs verbündeten köpften die Asante im Gegenzug kurzerhand einige derer Generäle. Ein anderes Mal entkam den Asante einer ihrer Skalven und floh zu den Briten. Das ließ man sich im Asante-Königreich aus Prinzip nicht gefallen und stiftete mit einem Streifzug und Festnahme des Flüchtlings einigen Unfrieden. Als die Europäer zum Rückschlag ansetzten, kamen ihnen Fieber und Durchfall in die Quere, bevor sie irgendetwas ausrichten konnten. Man ärgerte sich gegenseitig, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Jedenfalls bis Großbritannien Ende des 19. Jahrhunderts der endgültige Schlag gelang. Die Asante-Monarchie wurde Teil der britischen „Gold Coast Colony“, ihr König im Elmina Castle unter Hausarrest gestellt und ihre Hauptstadt Kumasi niedergebrannt. Das einst machtvolle Empire war besiegt. 1957 hat Ghana als erstes afrikanisches Land seine Unabhängigkeit erkämpft und ist als präsidentielle Republik Teil der Commonwealth Nations. Präsident und Parlament werden freiheitlich-demokratisch vom Volk gewählt. Allerdings berichten mir Einheimische, dass es nur zwei etablierte Parteien gibt, die sich inhaltlich kaum unterscheiden und für gewöhnlich alle vier Jahre abwechseln. Das eigentlich Verblüffende ist, dass die alten Monarchien noch immer mit der modernen Demokratie koexistieren. Einer von Ghanas Distrikten steht unter verfassungsrechtlichem Schutz als subnationaler, selbstverwalteter Staat der Asante. Der Asantehene ist Mitglied im Nationalen Rat Ghanas und berät bis heute die Politik.

Asantewaa
Traditionelle Kleidung des Asantewaa

Ihre Hauptstadt haben die Asante wieder aufgebaut. Dort lebt im Minhiya Palast die Königsfamilie, deren Oberhaupt übrigens die Asantewaa (Königsmutter) ist. Außerdem beschützt das Volk hier sein größtes Heiligtum: den goldenen Stuhl. Ihm wird zugeschrieben, die Seele und ganze Kraft der Asante zu enthalten. Ein kleineres Abbild davon befindet sich auch in einem Palast in jedem Dorf der Akan, wo untergeordnete, traditionelle „Chiefs“ die Lokalpolitik übernehmen. Diese sind einfach an ihrem Äußeren zu erkennen. In teuren, handgewebten Kente-Stoff gehüllt, der bis heute von Hand mit traditionellen Webstühlen gergestellt wird, und üppig mit Goldschmuck behängt, sind sie eine beeindruckende Erscheinung.

Goldener Stuhl
Kente-Webstuhl

Ein weiteres bemerkenswertes System meines Gastlandes sind die Familienclans der Akan. Es gibt acht davon, die durchmischt über das ganze Land verteilt leben, unabhängig von den oben beschriebenen Akan-Völkern. Jede der acht Familien hat ihre eigenen Grußformeln, Treffpunkte,Traditionen und Oberhäupter. Letztere sind an charakteristischen Tiersymbolen zu erkennen, die äußerlich sichtbar auf Kleidung oder Accessoires getragen werden. Die Totems verkörpern Charakter und Eigenschaften des jeweiligen Clans. Das Familientier der „Bretuo“ ist zum Beispiel der Leopard, der für Mut und Aggressivität steht. Die Krähe der Weisheit repräsentiert die „Asona“. Von den „Aduana“ wird der Hund benutzt, der mit Ehrlichkeit und Fleiß assoziiert wird. In welche Familie auch immer man von seiner Mutter hineingeboren wird, versucht man in Ghana, die Tugenden seines Clans besonders auszuleben. Diese klare Identifikation mit der eigenen Herkunft und das Ausbilden gemeinsamer Werte ist, was mir an dieser Tradition besonders gefällt.

Totems

Daran, dass die Akan nach wie vor eine sehr symbolträchtige Kultur haben und leben, besteht wohl inzwischen kein Zweifel mehr. Die spannende Bildersprache begegnet mir zum Beispiel auf Hauswänden, wo sie eine Art Haussegen bewirken soll. Sogar auf Autos, Plastikstühlen und Streichholzschachteln befinden sich Zeichen, die bestimmte Lebensweisheiten oder Lehren ausdrücken. Ein zweiköpfiges Krokodil erinnert an die Stärke, die in Gemeinschaft liegt. Ein zurückblickender Vogel mahnt, aus der Vergangenheit zu lernen...Diese sogenannten „Adinkra-Symbole“ verdeutlichen mir einmal mehr, wie bewusst in Ghana kulturelles Erbe gelebt wird und wie tief die Kultur in den Köpfen der Menschen verwurzelt ist.

Adinkra-Symbol
Adinkra-Symbol Sankofa Vogel

Bei diesem Reichtum an Traditionen und Werten wundert es mich nicht, dass das Volk der Asante bis heute überlebt hat. Der Stolz und die Würde, mit der die Akan seit mehreren Jahrhunderten die Gebote ihrer Kultur ausfüllen, verleihen der ghanaischen Gemeinschaft große Stärke. Für die Menschen hier ist es eine Ehre, Teil ihres Volkes zu sein. Diese Zusammengehörigkeit hautnah zu erleben, löst in mir große Bewunderung und Respekt für die ghanaische Geschichte aus.

Weiterlesen Briefe aus Ghana Teil 5

Catharina-E. Comberg

Catharina-E. Comberg, geboren 2004 in Saarbrücken, besuchte bis 2022 das Gymnasium Marienschule Saarbrücken und erwarb dort abschließend das Abitur. Nachdem sie an mehreren Schüleraustauschprogrammen nach Frankreich teilnahm und zwei Monate in Südafrika die Schule besuchte, verbringt sie seit September 2022 einen zwölfmonatigen Freiwilligendienst in Ghana. Ihre „Briefe aus Ghana“ berichten von ihren kulturellen, kulinarischen und gesellschaftlichen Erfahrungen sowie ihrer Arbeit in einem medizinischen Zentrum der Heilsarmee.

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