Eine Gutenachtgeschichte: Warum der Elefant Elefant heißt

Uli Menz // Dezember 2023

© Illustration Martin Petzold (†)

Du möchtest wirklich wissen, warum der Elefant Elefant heißt? Gut, dann schließ‘ die Augen und hör’ mir zu.

Es war einmal ein großes, dickes, graues Tier, das hieß Loxodonta, was so viel be-deutet wie „Krummer Zahn“. Sie war ein sehr liebenswertes Tier, leider aber hatte sie einen kleinen Sprachfehler. Weil ihre Nase so lang war, konnte sie kein richtiges „g“ sprechen. Sie vernuschelte diesen Buchstaben immer zum „f“.

So sagte sie zum Beispiel „Futen Morfen“, wenn sie „Guten Morgen“ meinte. Oder „Futen Taf“, wenn sie „Guten Tag“ meinte. Oder „Viel Flück“, wenn sie „Viel Glück“ sagen wollte. Darüber lachten die anderen Tiere, was Loxodonta natürlich kränkte. Sie war zwar gutmütig, aber auch ein wenig nachtragend. Deswegen beschwerte sie sich eines Tages beim König der Tiere darüber, dass die anderen Tiere sie immer hänselten.

Da der König sie sehr mochte – Loxodonta spielte im Hoforchester die erste Trompe-te – verbot er allen Tieren, sie weiterhin zu ärfern, ääh, ich meine, zu ärgern. Aber wie das so ist mit Verboten: Das Schönste an ihnen ist, dass man sie übertreten kann. Und so machten die Tier natürlich weiter, nur diesmal heimlich. Unter sich sprachen sie manchmal: “Futen Taf, wie fehts?“, oder „Schon was fefessen heute morfen?“ oder „Das ist ja affenfeil!“ Und so ähnlich.

Das ging so weiter, bis der König der Tiere eines Tages, weil ihm ein bisschen langweilig war, alle Tiere der Wüste und des Dschungels zu einem Tanzwettbewerb einlud. Das gefiel allen, denn so konnte man sich mal schick machen und neue Tiere kennen lernen. Damit auch ein wenig Spannung herrschte, bestimmte der König, dass immer ein Tanzpaar aus dem Dschungel gegen eines aus der Wüste antreten sollte. Die Sieger sollten eine Woche Wüsten- oder Dschungelurlaub bekommen.

Es begann mit der Wüste. Von den Wüstentieren wurde zuerst das Kamel ausgelost, es hatte als Tanzpartnerin eine Hyäne. Beide sollten einen langsamen Blues tanzen. Das kam dem Kamel entgegen, weil es ja irgendwie schon ein Bluesgesicht hat. Leider aber war die Hyäne so furchtbar unernst. Sie lachte die ganze Zeit, so dass das Paar nur einen halben Punkt errang.

Dann kam das erste Paar aus dem Dschungel. Das Krokodil sollte einen Foxtrott mit seiner Tanzpartnerin, einer Gazelle, vorführen. Bei der Bekanntgabe der Tanzpartnerin hörte das Krokodil leider nicht genau hin, es verstand „Frikadelle“ statt „Gazelle“. „Hm“, dachte es da, „eine Frikadelle zum Foxtrott, nicht schlecht, nicht schlecht.“ Und versuchte, seine Tanzpartnerin zu fressen. Das führte natürlich zur sofortigen Disqualifikation.

Dann kam wieder ein Paar aus der Wüste dran. Das Nilpferd sollte mit der Springmaus einen Tango tanzen. Die ersten Schritte gelangen wohl auch ganz gut, leider trat dann das Nilpferd auf seine Tanzpartnerin, wodurch diese im Dschungelboden verschwand. Erst nach längerem Suchen konnte man sie wieder finden und aus ihrer misslichen Lage befreien. Erneut eine Disqualifikation.

Dann kam das zweite Paar aus dem Dschungel dran: Der Bär. Er sollte einen Walzer zeigen mit einer Boa. Der wurde aber schon nach wenigen Umdrehungen so schwin-delig, jedenfalls sagte sie das später, dass sie sich fest um den Bären herum drehte und ihm die Luft abdrehte. Der Bär konnte noch mit knapper Not protestieren, bevor er wegen Atemnot umfiel. Man musste die Schlange von ihm abwickeln. Es gab natürlich wieder keinen Punkt.

Den hätte dann eigentlich das dritte Paar aus der Wüste machen müssen. Ausgelost wurde der Nacktmull, der bedauerlicherweise völlig ohne Tanzkleidung antrat. Aber-mals führte das zur sofortigen Disqualifikation.

Die letzte Chance auf den Gesamtsieg lag also bei den Dschungeltieren. Die waren sehr gespannt, wen das Los treffen würde. Als der Name des dritten Tänzers ge-nannt wurde, ging ein enttäuschtes Raunen durch die Dschungeltiere – es war Loxodonta! Ausgerechnet die! Hätte es nicht auch eine gute Tänzerin sein können, eine Gorilladame vielleicht? Nein, ausgerechnet die Dickste von ihnen und dann noch einen Flamenco! Ihr Tanzpartner war ein Papagei. Man fand sich schon mit der Niederlage ab, als die Musik einsetzte und Loxodonta die ersten Schritte hinlegte.

Und plötzlich wurde es ganz ruhig. Das dicke, graue Tier setzte zierlich die Füße voreinander, bewegte temperamentvoll seinen grauen Leib. Immer schwungvoller und schöner wurden die Tanzschritte, der Papagei umschwirrte sie zu den Klängen des Orchesters. Ungläubiges Staunen setzte bei allen Tieren ein. Und als Loxodonta am Schluß einen Handstand machte und der Papagei sich auf ihre Hinterbeine setzte und die Anfangstakte von „La Paloma“ pfiff, herrschte atemlose Stille.

In diesen Moment trat der König der Tiere vor und sagte laut und deutlich: „Das war aber elefant!“

Da schämten sich die Dschungeltiere, hatte ihnen der Löwe doch deutlich gemacht, dass das Tier, das sie wegen eines geringfügigen Sprachfehlers immer verspottet hatten, ihnen den Sieg errungen hatte. Nach einem kurzen Moment brach ein unbeschreiblicher Jubel aus. Alle Tiere riefen einander zu: „Ja, das war elefant!“

Von diesem Tag an hieß Loxodonta

Elefant.

Und so ist es bis heute geblieben.

Uli Menz ist das Pseudonym des Autors dieser Geschichte. Er wurde in Leipzig geboren und besuchte dort bis zum Abitur das Leo-Trotzki-Gymnasium. Seinen Dienst in der NVA verbrachte er als Tierpfleger bei den Gebirgsjägern in Schneeberg. Nach der ‚Wende‘ absolvierte er eine Lehre als Tierpfleger im Biosphärenreservat ‚ Heimattierpark Ollerdissen‘ bei Bielefeld. Eigenen Angaben zufolge, erwachte dort sein Interesse für Tiernamen. Entsprechend studierte er im Anschluss an seine Lehrzeit, nun wieder in Leipzig, am dortigen Zentrum für Namensforschung das Fach Onomastik. Seine Promotion hatte das Thema: ‚Dumme Kuh? Scharfer Hund? Zur Anthropomorphie und Onomastik in der Tierliteratur des 17. Jahrhunderts‘. Nach der Promotion wechselte Menz nach Marburg, um am Fachbereich Biologie, Fachgebiet Tierphysiologie, ein Forschungsprojekt ‚Neopalpa donaldtrumpi – Politische und ökologische Aspekte der Nomenklatur neu entdeckter Tierarten‘ zu leiten. Daneben begann, er unter seinem richtigen Namen schriftstellerisch aktiv zu werden. Die im Seume-JOURNAL publizierten Geschichten sind seine ersten Gehversuche mit Einschlaf-Geschichten für Kinder – in der Familie des Autors erfolgreich erprobt.


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