Claus Peymann und der schlafende Papagei

Gerhard Weber // November 2023

Theatergeschichten von Gerhard Weber

Ara-Papageien

Gert Voss, der 2014 mit 73 Jahren viel zu früh verstorbene Star und hochgeehrte Kammer-Schauspieler des Burgtheaters, war mit mir, damals noch als Regieassistent, von 1974-78 Mitglied des legendären Stuttgarter Peymann – Ensembles. Diese Zeit bezeichnete er später einmal in seiner Autobiografie „Ich bin kein Papagei“ als seine produktivste und glücklichste.

Zudem war er auch Mit- Verursacher eine der schönsten Theateranekdoten aus dieser Zeit – und von denen gab es nicht wenige.

Ich sollte als persönlicher Regieassistent von Claus Peymann darin eine nicht unerhebliche Rolle spielen - nämlich die des möglichst unauffällig und zuverlässig zu agierenden Vermittlers zwischen Regisseur und Schauspieler.

An Peymanns Seite konnte ich an dessen legendären Stuttgarter Inszenierungen wie Die Räuber, Käthchen von Heilbronn und dem Mammutspektakel Faust I und II mitwirken. Sie brachten uns allen einige internationale Gastspiele - und Peymann rasch seine zukünftigen Intendanzen an das Schauspielhaus Bochum, das Burgtheater Wien sowie später an das Berliner Ensemble.

Doch nicht nur diese rasanten und ungemein witzig-intelligenten Klassiker – Inszenierungen, meistens in den genialen Bühnenbildern des Künstlers Achim Freyer - sondern auch viele Thomas- Bernhard-Uraufführungen trugen zu dem unglaublichen Ruf des Stuttgarter Ensembles bei.

So hatte nun Gert Voss, sicherlich nicht zu seiner großen Freude, in dem Bernhard-Stück Immanuel Kant ausschließlich die Stimme eines Papageien zu sprechen. Dieser stand als Requisit verdeckt in einem Käfig auf der Bühne neben dem Kant- Darsteller. Auch der wurde von einem der damaligen Stuttgarter Stars, nämlich Traugott Buhre, gespielt.

Gert Voss aber hatte, wie man am Theater sagt, an der Seite zu sitzen, für das Publikum unsichtbar am Inspizienten Pult. Vor dessen sehr wackeliger Lautsprecheranlage, bezog er jeden Morgen pünktlich 10 Uhr, mit einem Riesenbecher Kaffee und einem Mikrofon für seine Dialogeinwürfe ausgerüstet, einen nicht weniger wackeligen Barhocker.

Doch vom Tonmeister ließ er sich schnell ein Mikro mit Ausschaltknopf kommen. So konnte er zwischen seinen wenigen Einsätzen, mit seiner einzigartigen physiognomischen Begabung, das Geschehen zwischen Bühne und dem Regisseur im Zuschauerraum kommentieren. Und das zum großen Vergnügen eines immer größer werdenden Publikums aus Bühnenarbeitern und wartenden Schauspielern.

Eines Tages sagte er zu mir: „Hör mal Gerhard, der Peymann braucht pro Seite ein-bis eineinhalb Tage, ich habe jetzt festgestellt, dass der Papagei eingeschlafen ist, es ist also durchaus vertretbar, dass du mir morgen probenfrei gibst“. Ich war seiner Meinung und sagte: „Bleib morgen zuhause“.

Doch schon am nächsten Morgen musste ich Voss kurz vor Probenbeginn über das Telefon des Betriebsbüros in Alarm versetzen: „Peymann tobt, als ich ihm gerade sagte, du kommst heute nicht, weil der Papagei schläft. „Ist es jetzt Herr Voss der festlegt wann der Papagei schläft. Er hat sofort zur Probe zu kommen!“ brüllte Peymann. Ich flehte Voss an, sich sofort ins Auto zu setzen und zu kommen.

Als Voss schliesslich die Bühne erreichte rief er schon beim Betreten. „Ich verstehe dich nicht Claus, der Bernhard schreibt der Papagei schläft, also warum soll ich kommen, ich bin hinter der Szene und habe nur Geräusche zu machen.“

Daraufhin Peymann nach einer kurzen Pause in der er sich noch einmal schnell durch einen Blick in den Text vergewisserte: „Das ist richtig, der Papagei schläft – aber es ist ja möglich, dass der Papagei im Schlaf spricht!“

Von da an hatte Voss bis zum Ende der Probenzeit hinter der Szene zu sitzen.

Doch genüsslich bemerkt er in einem späteren Gespräch bei Harald Schmidt und auch in seiner Biografie dazu, dass nicht nur Traugott Buhre sondern auch Voss selber beim Premierenapplaus, den Käfig in der Hand tragend, mit lauten Bravos bedacht wurden.


Gerhard Weber

Gerhard Weber, 1950 in Hannover geboren, ging 1970 nach Wien, um dort das Studium der Regie am Max-Reinhardt-Seminar aufzunehmen. 1974 folgte er dem Ruf des Schauspieldirektors Claus Peymann an das Staatstheater Stuttgart. Danach arbeitete Weber als Gastregisseur an einer Vielzahl von Staats- und Stadttheatern in Österreich und Deutschland. Von 1991 bis 1998 war er als Oberspielleiter am Staatstheater Saarbrücken. Anschließend führte es ihn zurück in seine Heimatstadt, wo er bis 2004 an der Landesbühne Hannover seine erste Intendanz antrat. Bis 2015 war Weber dann Intendant des Stadttheaters Trier und wohnt seitdem wieder in seiner Geburtsstadt.


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