Workshop Europagedanke

Dr. Veronika Jičínská // Februar 2023

Die Workshopgruppe „Bildungsreisen und Wanderschaften: Reiseliteratur der Aufklärung am Beispiel von Johann Gottfried Seume u.a.“

Der Workshop „Bildungsreisen und Wanderschaften: Reiseliteratur der Aufklärung am Beispiel von Johann Gottfried Seume u.a.“, der in Zusammenarbeit mit der Internationalen Johann-Gottfried-Seume-Gesellschaft „ARETHUSA“ e.V. organisiert wurde, war für mich als Dozentin und für die Student:innen aus Ústí nad Labem eine wichtige Erfahrung und er markiert für uns den Beginn einer wertvollen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Nicht nur das Thema des Workshops, bei dem es darum ging, Grenzen zu überschreiten und neue Länder, Kulturlandschaften und deren Bewohner aufgeschlossen kennen zu lernen, sondern auch die Veranstaltung selbst eröffnete uns neue Horizonte. Wir lernten Leipzig als Buch- und Verlagsstadt kennen, Grimma als Wirkungsstätte von Johann Gottfried Seume und dem bedeutenden Verleger Georg Joachim Göschen, und vor allem die vielen freundlichen und engagierten Menschen, die uns die ganze Zeit selbstlos unterstützt haben. Ich denke, dass Studienreisen wie diese Teil des Literaturunterrichts sein sollten, weil sie die Literatur- und Kulturgeschichte als etwas näher bringen, das auch für die Gegenwart relevant ist. Sie vertiefen unsere Sensibilität für die Verflechtung der Kulturen in Mitteleuropa und für lebendige Kultur im Allgemeinen. Auch die Studierenden bewerten diese Erfahrung sehr positiv und wir freuen uns alle auf die zukünftige Zusammenarbeit.

Ankunft in Grethen

Tag 1
30. November 2022

Am Nachmittag, den 30. November sind wir in Grethen angekommen. Es war schönes Wetter und die Landschaft wirkte idyllisch. Das Naturhaus hat es uns angetan, besonders nach der freundlichen Begrüßung von Christian, der sich als „Hostel Dad” vorstellte.

Tag 2
1. Dezember 2022

Unseren ersten Tag verbrachten wir in Leipzig, der Buch- und Verlagsstadt. Unsere Stadtführerin weihte uns wissensreich und mit viel Liebe in die Geschichte der Stadt ein. Wir wussten, dass Leipzig in der Vergangenheit ein wichtiges Kulturzentrum war, die Bedeutsamkeit des Buchhandels für die urbanistische und soziale Struktur der Stadt, und die deutsche Kultur überhaupt, war uns aber bei weitem nicht so bekannt. Wir waren davon fasziniert, wie viele Bücher zu den Blütezeiten Leipzigs in der Stadt gelagert wurden. Der Weg ging durch das Graphische Viertel, zum Gutenbergplatz, am Deutschen Buchgewerbehaus und dem ehemaligen Stammhaus des Reclam-Verlags vorbei.

Stadtführerung durch die Buch- und Verlagsstadt Leipzig
Stadtführerung durch die Buch- und Verlagsstadt Leipzig

Der Weg führte uns weiter zu der Leipziger Universität und der bewegten Geschichte des Universitätsgebäudes. Es hat uns sehr gut gefallen, wie die Innenräume der Universität die Tradition und Gegenwart verbinden. Die von ihm entwickelte Dyadik mit den Ziffern 0 und 1, war grundlegend für die modernen Computer. „Ohne Leibniz keine Handys“, fasste unsere Stadtführerin zusammen.

Statue Johann-Sebastian in Leipzig

Nicht nur Schauplätze der Wissenschaft, sondern auch der klassischen Literatur findet man in Leipzig. Wir haben das Haus gesehen, in dem Friedrich Schiller 1785 das Lied An die Freude verfasste.

Schillerhaus Leipzig
Leipzig Auerbach Keller

An der Statue des Studenten Goethe hat uns die Stadtführerin von der Liebe des Dichters zu Käthchen Schönkopf erzählt; in der gegenüberliegenden Mädlerpassage haben wir uns dann den berühmten Auerbach-Keller angesehen. Den Vers: Mein Leipzig lob’ ich mir! Es ist ein Klein-Paris, und bildet seine Leute! haben wir zwar von der Reise gelesen, aber es war doch etwas anderes, es direkt vor Ort zu hören. Ein Bierchen in Auerbachs Keller hat uns gut geschmeckt.

Leider war uns das Wetter nicht sehr hold: Von dem majestätischen Völkerschlachtdenkmal haben wir nur den Sockel gesehen – umso schöner war aber seine Widerspiegelung in der Wasserfläche.


Leider schlechtes Wetter beim majestätischen Voelkerschlachtdenkmal in Leipzig

Am Nachmittag waren wir im Verlag Faber & Faber, der in diesem Jahr mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet wurde. Der Besitzer Michael Faber hat uns sehr freundlich aufgenommen und uns sehr spannend die Geschichte des Verlags erzählt. Wir haben erfahren, wie kleine Verlage funktionieren und dass ein Erfolg des Buches nie vorherzusagen ist.

Michael Faber gibt Einblicke in seinen Verlag
Faber & Faber Leipzig Verlagsgebäude

Besuch im Faber und Faber Verlag Leipzi

„Wir sind wie Perlentaucher“, meinte Herr Faber, „Wie die Perlentaucher wissen wir nie, ob in der Muschel eine Perle versteckt ist. Der Verleger trägt ein hundertprozentiges Risiko“. Der Verlag hat seinen Sitz in einer schönen, stilvollen bürgrlichen Wohnung und manche von uns haben sich von dem Gedanken hinreißen lassen, in so einem Verlag arbeiten zu dürfen.

Der Tag wurde mit dem Referat zu den Bildungsreisen im 18. Jahrhundert abgeschlossen (Martin und Lukáš, die Brüder Tran).

Martin und Lukáš Referat zu den Bildungsreisen im 18. Jahrhundert
Brüder Tran Vortrag zu den Bildungsreisen im 18. Jahrhundert

Tag 3

Am 2. Dezember wurde der Tag mit der zweiten Einheit unseres Workshops eröffnet. Karolína und Kristýna haben uns mit dem Leben von Johann Gottfried und seinem Spaziergang nach Syrakus bekannt gemacht. Herr Simmler war auch dabei. Wir haben darüber diskutiert wie Seume reiste, wie er die Landschaft erfuhr, welchen Leuten er begegnete und wie er sie beschrieb. Dabei haben wir versucht, die historischen und politischen Ereignisse mit dem aufklärerischen Gedankengut zu kontextualisieren.

Workshop Referat Karolína und Kristýna

Es folgte die Führung im Göschenhaus in Grimma – Hohnstädt. Herr Bolte, Leiter des Museums, führte uns durch das Haus und zeigte uns wertvolle Drucke und Erstausgaben. So haben wir die Erstausgabe von Seumes Spaziergang nach Syrakus (1803), sowie Mein Sommer (1806) aus seiner nordischen Reise gesehen.

Führung im Göschenhaus in Grimma mit Herrn Bolte
Das Göschenhaus in Grimma

Herr Bolte verriet uns die Tricks, die Göschen anwendete, um den in seiner Zeit verbreiteten Nach-, bzw. Raubdruck zu verhindern und erklärte uns, warum der Verleger die Antiqua der Fraktur bevorzugte. Begeistert waren wir von der Lithographie des Teplitzer Friedhofs, auf dem Seume begraben liegt, bewundert haben wir Exponate wie den Schreibpult und den letzten Stock Seumes, mit dem er auch abgebildet ist, oder die Nadelbüchse, die der Autor seiner Nichte schenkte und in die er sein Gedicht hineinlegte. Abschließend konnten wir uns die traditionellen sächsischen handwerklichen Erzeugnisse ansehen, darunter den geheimnisvoll anmutenden Wellenbrecher.

Der verschneite Garten hatte zu dieser Jahreszeit zwar nicht das südländische Flair wie im Sommer, dafür mutete er schön vorweihnachtlich an. Es folgte eine Führung durch Grimma: Wir haben das Seume-Haus in Grimma gesehen, in dem Göschen seine Druckerei hatte und Seume hier als Korrektor arbeitete. Die Besitzerin, Frau Noack erzählte uns von der Geschichte des Hauses und wie sie es erworben hatte. Sie zeigte uns die barocken Treppen und die Fresken aus dem Dreißigjährigen Krieg. Dann fuhren wir zum ehemaligen Seume-Gymnasium. Dort haben wir das große Ölgemälde gesehen, das Seume als Reisenden darstellt und das Gymnasium-Museum.

Die Stadtführung von Grimma schloss auch einen kurzen Besuch des Klosters Nimbschen, einer ehemaligen Zisterzienserinnenabtei. Von dem Kloster sieht man heute nur die Ruinen, aber der Ort hat eine unheimlich starke Ausstrahlung. Der Baum, den wir durch das Bogenfenster des Klosters fotografiert haben, erinnerte uns an die Gemälde Gustav Klimts.

Seume-Haus Geschichte
Seume-Haus Geschichte mit der Besitzerin Frau Noack

Tag 4
3. Dezember 2022

Am letzten Tag unseres Aufenthaltes erwartete uns noch die Tagung Von Sachsen in die Welt. Man nahm sorgfältig Notizen und suchte in Handys nach unbekannten Wörtern.

Studentischer Tagungsbericht:

Am Samstag, den 3.12.2022 organisierte die internationale Johann-Gottfried-Seume-Gesellschaft „ARETHUSA“ eine Vortragsund Diskussionsveranstaltung – „Von Sachsen in die Welt“ im Gasthaus Göschens Gut. Diese Aktion fing um 10 Uhr an. Drei Beiträge wurden geplant, aber nur 2 von den 3 Vorlesungen wurden realisiert, weil Herr Wolfgang Büscher krank geworden ist.

Vortrags-und-Diskussionsveranstaltung „Von Sachsen in die Welt“

Die erste Vorlesung war über das Werk „Vom Gehen im Karst”. Dieses Buch schrieb Jan Röhnert, ein Literaturwissenschaftler. Literaturwissenschaft studierte er in Jena. In diesem Werk beschäftigt er sich mit dem Karst und den Karst-Gebieten. Laut Röhnert haben die Geologen den Begriff „Karst” von den Slowenen genommen. Seit seiner Kindheit faszinierte ihn ein Sandstein, der seine Obsession von Karst erweckte. Röhnert sprach über seine Bahnreisen, die er gemacht hat, und seine aufregendste Bahnreise war die, von Braunschweig nach Thüringen. Er las Textauszüge aus seinem Buch „Vom Gehen im Karst”. Er verfolgte Seumes Spuren, als er nach Triest reiste. Dort bewunderte er die Landschaft und während des Lesens erklärte er uns die Faszination dieser natürlichen Formationen durch reiche und geografische Termini, die auch Goethe benutzte. Einerseits nimmt er die Landschaft als ein Naturgebilde, andererseits als eine Kulturlandschaft wahr. Interessant und wichtig dabei ist, dass er diese Reise persönlich durchgelaufen ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es wichtig ist, wie Röhnert die Landschaft wahrnimmt, seinen Platz darin und wie er sie beschreibt. Für ihn gibt es keine Grenze zwischen Natur und Literatur und er versucht sie zu verknüpfen. Diese Form von Literatur ist sehr faszinierend und sie wird „nature writing” genannt.

Vorlesung mit der Reiseschriftstellerin und Naturforscherin Carmen Rohrbach

Die zweite Vorlesung war von der Reiseschriftstellerin und Naturforscherin Carmen Rohrbach. In der ersten Hälfte sprach sie über ihre Kindheit und Jugend in der DDR. Sie erzählte uns, dass sie schon als junge Frau das Gefühl hatte, das Land zu erkunden. Dieses Gefühl ist laut Rohrbach von Anfang an in jedem Menschen, in unseren Genen. Soweit sie lesen konnte, las sie Bücher von Entdeckungsreisen (von Humboldt und anderen Forschern). Sie wollte etwas Neues, wie Kolumbus, entdecken. Einmal hat sich Rohrbach entschieden, von Leipzig nach Dresden zu Fuß zu gehen. Laut ihr waren es über 100 km, dabei dauerte die Reise 20 Stunden. Sie ging damals immer entlang einer Langstrecke, die man nämlich noch heute sehen kann. Als sie am Hauptbahnhof von Dresden zu Fuß ankam, nahm sie einen Zug, der nach Leipzig zurückfuhr. Danach sprach sie über ihre Reise nach Sizilien. Sie war in Sizilien wie Seume und hat dort einen kleinen Bericht geschrieben und ihre Entdeckungen beschrieben. Sie ist dort an der Küste angekommen und war zu Fuß unterwegs. Sie schlief in der Natur in einem Schlafsack (ohne Zelt), auf dem trockenen Boden und erlebte die schönen Sonnenaufgänge. In ihren Werken beschreibt sie die Natur, das, was sie gerade sieht, wie Goethe.

Rohrbach sagte am Anfang, dass sie nur schreibt, was sie erlebt hat, ihre Gefühle und ihren Platz in der Natur. Sie besuchte später einen griechischen Tempel und laut Rohrbach bewohnten nicht griechische Götter diesen Tempel, sondern uralte Naturgottheiten die von diesem Tempel Besitz ergriffen. Am Ende zeigte sie Fotos von ihren Erlebnissen in Ecuador, Namibia, Mongolei, u. Ä. Schließlich ist für Rohrbach nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen, die sie während ihrer Reise traf, wichtig. Während ihrer Reisen lernte sie verschiedene Sprachen, weil sie die Geschichten und Erlebnisse der verschiedenen Menschen, die sie kennen lernte, hören wollte – das war für sie ganz wichtig.

Unserem Ziel, der Etablierung eines internationalen Kulturwanderwegs auf den Spuren von Seume, dabei den europäischen Gedanken in Seumes Wirken aufnehmend, welcher neben der Verortung eines Fernwanderweges besonders die grenzübergreifend Aspekte adressiert konnte mit diesem Workshop - in Zusammenarbeit mit der Jan-Evangelista-Purkyně-Universität in Ústí nad Labem - ein wichtiger Baustein hinzugefügt werden. Das Netzwerk wurde fester geknüpft, die Vermittlung von Wissen, das Kennenlernen der Akteure und der kulturelle Austausch erfolgte mit großem Interesse und Engagement. Der Workshop und die in dem Zusammenhang stehenden Aktivitäten waren öffentlich präsent. Die Leipziger Volkszeitung berichtete am 30.11.2022 darüber, auf der Website der Seume-Gesellschaft erfolgte vorab eine Info und natürlich der Abschlussbericht. Auf Facebook wurde ein Kurzbericht „Erkenntnisse & Eindrücke“ eingestellt. In der Seume-Tagung „Von Sachsen in die Welt“ wurde der Workshop erläutert und die Student:innen beteiligten sich aktiv an der Diskussion. Im Beitrag des Muldental-TV über die Tagung erfolgten Anmerkungen zu dem Workshop. Auf der Website der Universität steht ein Bericht über das Treffen in der Region Grimma.


Internationale Johann-Gottfried-Seume-Gesellschaft
„ARETHUSA“ e. V.

Telefon: 0163-379 69 03
E-Mail: lutz.simmler@seumeverein-arethusa.de
Homepage: Seumegesellschaft-Arethusa.de


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