Anpassung, Ausgrenzung, Instrumentalisierung – Fußball in der NS-Zeit

Friedhelm Schäffer // April 2023

Eine Wanderausstellung für Sportvereine, Schulen, Bildungseinrichtungen, Fanklubs und Fanprojekte

Stolperstein für Jenni und Julius Hesse. Julius Hesse war von 1909 bis 1914 Vorsitzender des Vereins Arminia Bielefeld

Seit 2017 präsentiert die NS-Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg interessierten Gruppen die Ausstellung „Fußball im Nationalsozialismus. Mehr als nur ein Spiel“. Die Ausstellungstafeln werden im Kontext der Dauerausstellung „Ideologie und Terror der SS. 1933-1945“ platziert. Im Laufe der letzten Jahre habe ich diese Fußballausstellung um sog. „Einwürfe“ ergänzt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Einblicke in die Geschichte von Fußballklubs zwischen 1933 und 1945. Aus dieser Arbeit entwickelte sich die Idee, die „Einwürfe“ auch als Leih- oder Wanderausstellung „Anpassung, Ausgrenzung, Instrumentalisierung. Fußball in der NS-Zeit“ zu konzipieren.

Die Wanderausstellung besteht aus insgesamt 17 Rollups und informiert über elf populäre Vereine des Deutschen Fußball-Bundes. In der Gegenwart kicken diese Klubs in der Bundesliga, sind an europäischen Wettbewerben beteiligt, spielen in der Zweiten oder Dritten Liga. Für die Auswahl der Vereine wurde eine räumliche Eingrenzung getroffen. Sie sind mit Ausnahme des FC Bayern München weitgehend im Einzugsbereich der Erinnerungs- und Gedenkstätte 1933 bis 1945 des Kreismuseums Wewelsburg (Kreis Paderborn) beheimatet. Der FC Bayern genießt Deutschland weit wie kein anderer Klub einen enormen Bekanntheitsgrad und weist eine riesige Fangemeinde auf. Deshalb gehört auch der FC Bayern in diese Ausstellung.

Während der Zeit des Nationalsozialismus spielten die in der Ausstellung dargestellten Vereine in einer der mit der Saison 1933/34 von den Nationalsozialisten neu geschaffenen 16 Gauligen. Aus diesen damals höchsten deutschen Spielklassen qualifizierten sich die jeweiligen Gauligameister für eine Endrunde. Der Titel des Deutschen Meisters wurde schließlich in einem Endspiel ermittelt. Der FC Schalke 04, regelmäßiger Meister der Gauliga Westfalen, stand neunmal in Endspielen, sechs davon bestritt der während der NS-Zeit erfolgreichste Klub für sich. Nicht alle der hier abgebildeten Vereine existierten bereits vor 1945. Der 1. FC Köln und der SC Paderborn berufen sich in ihrer Vereinsgeschichte traditionell auf Vorgängervereine, die thematisch in der Ausstellung ihren Platz finden. Inhaltlich reicht der Blick auf die Vereine über die NS-Zeit hinaus bis in die Gegenwart.

Erinnerungsarbeit

Vor etwa zwei Jahrzehnten begannen immer mehr interessierte Fußballfans kritisch zu fragen, welche Rolle ihr Klub während der Zeit des Nationalsozialismus einnahm, wie sich Vereinsmitglieder gegenüber den jüdischen Sportlern verhielten usw. Denn die Erinnerung an die NS-Zeit und ihre Akteure war bis zu diesem Zeitpunkt sowohl in Vereinen als auch beim Deutschen Fußball-Bund ein No-Go.

Vor allem in den letzten Jahren entwickelten sich zahlreiche Initiativen, die an einer nachhaltigen Erinnerungs- und Gedenkkultur ihrer Vereine gearbeitet haben bzw. fortwährend arbeiten, gegen Rassismus und Antisemitismus, kurz gegen Menschenfeindlichkeit. So initiierte die Bielefelder Julius-Hesse-Arbeitsgemeinschaft, benannt nach dem ehemaligen jüdischen Präsidenten von Arminia Bielefeld, einen Gedenkort hinter der Westtribüne der SchücoArena. Der Julius-Hesse-Platz erinnert an den 1944 ermordeten Julius Hesse und alle weiteren jüdischen Mitglieder des Vereins. Die Initiative setzt sich aus Mitarbeitern des DSC Arminia, des Fan - Projekts Bielefeld und der NS-Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg zusammen. Sie steht für eine nachhaltige Präventions- und Gedenkarbeit wie z.B. dem etwa zweistündigen historischen Rundgang „Spurensuche - Arminia während der NS-Zeit", der regelmäßig der Öffentlichkeit angeboten wird.“

Julius Hesse (© Foto DSC Arminia Bielefeld)

Einen besonderen Baustein der Völkerverständigung bildete allerdings über 50 Jahre zuvor die erstmalige Reise einer deutschen Mannschaft nach Israel. Mit Unterstützung der Regierung Brandt fand die Reise in einer politisch schwierigen Zeit unter großen Sicherheitsvorkehrungen statt. Borussia Mönchengladbach mit dem Meistertrainer Hennes Weisweiler und dem überragenden Günter Netzer spielte 1970 unter großem Beifall des Publikums in Tel Aviv gegen das Nationalteam Israels. Ein Jahrzehnte langer gegenseitiger Austausch folgte.

Einige Anmerkungen zu den Begriffen im Titel der Ausstellung, Anpassung, Instrumentalisierung und Ausgrenzung: Die Arbeitersportvereine spielten bis 1932 mit eigener Spiel- und Sportkultur in völliger Trennung vom Deutschen Fußball-Bund einen Deutschen Meister im Arbeiterfußball aus. Ihre radikale Zerschlagung im Frühjahr 1933 führte den Vereinen des Deutschen Fußball-Bundes klar vor Augen, dass eine Fortsetzung ihres bisherigen Sport- und Vereinslebens die Anpassung an die neuen Strukturen voraussetzte. Den meisten Vereinen fiel das nicht schwer. Nationalismus, Demokratieferne, Antisemitismus – die Akzeptanz einer „rechten“ Orientierung, entsprach dem damaligen gesellschaftspolitischen Mainstream. Wie die breite Mehrheit der Bevölkerung verhielten sich auch die meisten Sportler bzw. Mitglieder der so genannten bürgerlichen Fußballvereine loyal, resümiert die berühmte Studie über den FC Schalke, „Zwischen Blau und Weiß liegt Grau“. Schwarz-weiß-rot und Hakenkreuzfahnen an Sportplätzen und in Stadien, der Hitlergruß am Spieltag, unabhängig davon ob es sich um Senioren- oder Juniorenmannschaften handelte, und die Einführung des Führerprinzips machten seit dem Frühjahr 1933 einen raschen und widerspruchslosen Anpassungsprozess der Vereine und mit ihnen der Sportler des Deutschen Fußball-Bundes deutlich sichtbar. Und tatsächlich: Der Ball rollte seit 1933 wie eh und je weiter, das Vereinsleben rund um den Sportplatz und das Vereinsheim blieb erhalten.

Die unpolitische, ja gleichgültige Haltung vieler Spieler, Trainer, Funktionäre und Zuschauer gegenüber dem Nationalsozialismus unterstreicht das Zitat der Fußballlegende Ernst Kuzorra vom FC Schalke 04. „Wir wollten Fußball spielen, mit was anderem wollten wir nichts zu schaffen haben.“

Arminia Bielefeld

Und dennoch: Trotz des Anpassungs- und Gleichschaltungsprozesses unterschied sich die spezifische Vereinssituation. Abhängig von der Quellenlage bieten sich sehr verschiedene Blickwinkel auf das jeweilige Vereinsgeschehen und handelnde Akteure. Beispielsweise bietet Arminia Bielefeld einen informativen Blick auf die so genannte Täterseite – auf Mitwissende und Mitwirkende, auf Profiteure oder jene, die NS-Organisationen zweckmäßig nutzten.

Julius Hesse Platz (© Foto Vereinsarchiv DSC Arminia Bielefeld)

Borussia Dortmund, grundsätzlich ebenso angepasst wie der DSC Arminia, unterschied sich allerdings deutlich im Hinblick auf das soziale Mitgliedermilieu. Der BVB wurde im katholisch wie politisch rot geprägten Norden rund um den Borsigplatz gegründet. Autor Gerd Kolbe spricht daher auch von einer „widerborstigen“ Borussia, von Mitgliedern, die die Distanz zum Nationalsozialismus nicht ablegten.

Insbesondere die Herkunft der Schalker Akteure aus dem Arbeitermilieu passte zur Ideologie der Volksgemeinschaft in hervorragender Weise. Ihre Instrumentalisierung verlief vielfältig, von den üblichen Meisterfeiern mit Parteibeteiligung, Aufrufen der Protagonisten Szepan und Kuzorra für die Unterstützung des so genannten Anschlusses Österreichs bis hin zu den Propagandaspielen während der Nürnberger Reichsparteitage. Das geschah durchaus in Übereinstimmung mit Verein und Spielern, die vom Nationalsozialismus in verschiedener Hinsicht profitierten und sich gerne feiern ließen.

Fortuna Düsseldorf, der erste Deutsche Meister während der NS-Zeit, wurde vom Reichssportführer von Tschammer und Osten in dessen SA-Uniform gratuliert.

Die Popularität der jungen Mannschaft von Hannover 96, 1938 Sensationsmeister im Endspiel gegen Schalke 04, nutzten die Nationalsozialisten intensiv für Propagandazwecke im besetzten Frankreich. Auch der Soldatentod von Meisterspielern wie dem Endspieltorschützen Erich Meng aus Hannover oder Nationalspielern wie Stürmerstar Adolf Urban aus Schalke während des Krieges schreckte die Nationalsozialisten natürlich nicht. Ihr Tod für „Führer, Volk und Vaterland“ als eine Art Symbiose von Spiel- und Schlachtfeld erhielt im „Kicker“ und in anderen damaligen Medien eine heldenhafte Hervorhebung.

Logo !NieWieder Erinnerungstag

Nie-wieder-Tag

Anpassung und Gleichschaltung, die Instrumentalisierung von Sportlern und Vereinen seit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten taten der Begeisterung, ja der Faszination für die Sportart keinen Abbruch. Voller Überschwang berichtete das Osnabrücker Tageblatt im Februar 1939 vom Spitzenspiel VfL Osnabrück gegen Hannover 96: „Da saßen und standen 15.000 Osnabrücker – insgesamt waren an die 18.000 Zuschauer da – wie eine Familie um das Spielfeld der Gartlage, betätigten Signalhörner, Autohupen, Trillerpfeifen, Glocken und vor allem ihre Stimmbänder, dass es wie ein einziger brausender Lärm zum Himmel stieg ...“

Fußball war Massensport, hunderte großer und moderner Sport- und Stadionanlagen waren entstanden, die Zuschauerzahlen waren bereits während der 1920er Jahre explodiert. Daran änderte sich während der NS-Zeit nichts. Erst während der Kriegsjahre nahmen die Zuschauerzahlen ab.

„1938 - nur damit es jeder weiß“ lautet der Titel einer Broschüre des Fanprojekts Bochum. Das Fanprojekt erinnert an die erste Deutsche Meisterschaft Bochums. Nicht des VfL, der im selben Jahr durch eine Fusion entstand, sondern an die des letzten Deutschen Jüdischen Meisters Hakoah Bochum, seine Zwangsbezeichnung war Schild Bochum. Die Pogromnacht 1938 beendete das Leben des Vereins, ja des gesamten jüdischen Sports. Mit der Ausgrenzung aus dem Leben der DFB-Vereine hatte 1933 alles begonnen. Und zwar ohne dass es einer zentralen Anordnung „von oben“, sprich Staat, Partei oder DFB bedurft hätte. Die Vereine entledigten sich ihrer jüdischen Mitglieder größtenteils während der ersten Monate der Machtübernahme. Selbst die als „Judenclubs“ bezeichneten Vereine wie der Kölner BC, ein Vorgängerverein des 1. FC und der FC Bayern München schlossen sich bereitwillig dieser Linie an. Jüdische Trainer und Funktionäre traten zwangsweise von ihren Ämtern zurück. Zum Beispiel Präsident Kurt Landauer und sein Trainer Richard Dombi. Beide hatten den FC Bayern zu seiner ersten Deutschen Meisterschaft 1932 geführt.

Um einen Boykott der Olympischen Spiele zu vermeiden, erlaubte die NS-Sportführung jüdischen Sportlern seit 1934, in strenger Trennung von „arischen“ Vereinen Sport zu treiben. Fußballghettoligen waren entstanden, Sportplätze für Juden fanden kaum Genehmigung. Artur Sachs kickte für den jüdischen Klub Schild Bielefeld. Seinen ehemaligen überkonfessionellen Verein in Vlotho hatte er verlassen, weil er zunehmend Ausgrenzung erfuhr.

Für die Zeit des Nationalsozialismus können dank der Forschungen von Lorenz Peiffer und Henry Wahlig im heutigen Ostwestfalen-Lippe acht jüdische Sportvereine nachgewiesen werden, darunter mit Schwarz-Weiß Bielefeld auch ein Tennisklub. Töchter des ehemaligen Arminia-Präsidenten Hesse spielten bis zu ihrer Flucht ins Ausland in diesem Klub.

Den Anlass für die Präsentation der Wanderausstellung bildet der NIE WIEDER - TAG im deutschen Fußball am 27. Januar 2023. Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Am darauf folgenden Wochenende wird in den Fußballstadien an die NIE WIEDER - Botschaft der Überlebenden des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau erinnert. Das NIE WIE-DER richtet sich heute gegen Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus, aber auch gegen Gleichgültigkeit und politische Apathie.

Der Blick auf Hassbotschaften, von der Kreisliga bis zum Spitzenfußball leider an jedem Spielwochenende regelmäßig wieder kehrend, begründet die Notwendigkeit präventiver Bildungs- und Gedenkarbeit, welche die NS-Erinnerungs- und Gedenkstätte in Kooperation mit dem DSC Arminia Bielefeld und dem SC Paderborn sowie den vor Ort ansässigen Fanprojekten in verschiedener Hinsicht anbieten.

Die Ausstellung steht für Sportvereine, Schulen, Bildungseinrichtungen, Fanklubs und Fanprojekte grundsätzlich kostenfrei zur Verfügung. Der Ausleihende übernimmt während der Ausleihdauer die Haftung für die Ausstellungstafeln. Kontakt: info@wewelsburg.de oder Tel. 02955 76220.

Westtribüne der SchücoArena. Der Julius-Hesse-Platz mit den Initiatoren DSC Arminia Bielefeld

Der Autor, Friedhelm Schäffer (Bildmitte), ist ehem. Lehrer für Geschichte, jetzt freier Mitarbeiter der NS-Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg und der Julius-Hesse-Arbeitsgemeinschaft Bielefeld. Die Rollups zum Verein DSC Arminia Bielefeld stammen ebenfalls von Friedhelm Schäffer.


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