Superstar Angelika Kauffmann

Claudia Spurk // April 2018

Selbstporträt von 1784, Neue Pinakothek, München (© Foto: gemeinfrei, wikipedia.org)

Ein Mädchen aus eher einfachen Verhältnissen zieht mit seinem Vater, einem Wandermaler, durch die Schweiz und Oberitalien, wird früh als Wunderkind gehandelt, entscheidet sich gegen eine Gesangskarriere, wird freischaffende Malerin und setzt dies gegen den Wunsch des Vaters durch; es folgen vielfältige Ausbildungen, Erfolge in verschiedenen italienischen Städten, Gerüchte über viele Flirts und Verlobung; sie wechselt nach London, baut sich ein Netzwerk aus wichtigen Persönlichkeiten auf, Ehe mit einem Heiratsschwindler, Erpressung, Scheidung, macht eine steile Karriere und wird zum Star, nach 15 Jahren in London Heirat mit einem deutlich älterem Maler, der ihr den Rücken freihält, Umzug nach Rom mit weiter anhaltendem Erfolg und bekanntem intellektuellen Salon, Verbindungen zur gesellschaftlichen und geistigen Elite, Millionärin, bejubelt als „vielleicht die kultivierteste Erscheinung Europas“1, bewundert als „unglaubliches, (…) wirklich ungeheures Talent“2, und gefeiert als „Miss Angel“3.

Eine moderne Geschichte? Nein, diese Angelika Kauffmann lebte von 1741-1807 – und überwandt geografische, kulturelle und sprachliche Grenzen!

Mein erster Kontakt mit dem Werk von Angelika Kauffmann, kam über Goethe. Das bekannteste Goethe-Gemälde ist wohl „Goethe in der Campagna“ (1787) von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein.

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein – Goethe in der Campagna, Rom 1787 (© Foto: gemeinfrei, wikipedia.org)

Goethe war begeistert von diesem mit vielfältigen Bezügen aufgeladenen Bild. Mir war es immer zu inszeniert: Zu wenig der junge Goethe, zu viel der „Dichterfürst“. Es entsprach aber wohl dem, wie er gerne gesehen wurde.

Der junge Goethe, gemalt von Angelica Kauffmann 1787 (© Foto: gemeinfrei, wikipedia.org)

Wie anders das Porträt von Angelika Kauffmann: Keine Überhöhung, eher das „realistische“ Bild eines Mannes, dessen wache, „empfindsame“, attraktive, menschliche Seite gezeigt wird, das die starke Anziehung des „Menschen Goethe“ gerade in jungen Jahren auf Frauen und Männer verständlich macht. Goethe gefiel es nicht: „ Es ist immer ein hübscher Bursche, doch keine Spur von mir.“

Wer war sie, diese Angelika Kauffmann? Die Vertreterin des sog. empfindsamen Stils war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die sich willentlich dem Risiko einer freien Künstler-Existenz aussetzte, sich nicht in die klassische Rolle fügte, eine menschlich angenehme Netzwerkerin war, die energisch zu kämpfen und ihre Interessen zu verteidigen wusste. Eine Grenzgängerin par excellence. Ihr grandioser Erfolg und die Bewunderung provozierte Klatsch, Unterstellungen, Abwertungen, besonders da sie nun mal eine Frau ist. Da ihr guter Ruf lebensnotwendig war, musste sie sich klug verhalten, zwischen Anpassung und Kampf.

So wurde ihr bei ihrer Ankunft sogleich eine Affäre mit Englands damals berühmtesten Maler Joshua Reynolds nachgesagt. Der Maler Nathaniel Hone reichte zur Jahresausstellung der königlichen Akademie ein Bild ein, das Reynolds und eine Frau zeigt, die nichts außer schwarzen Strümpfen trägt – Angelika Kauffmann. Sie aber kämpft dagegen und gewinnt!

Nathaniel Hones Gemälde „The Conjuror“ (1775), das Sir Joshua Reynolds verspottet und auf eine Romanze mit der jüngeren Angelica Kauffman anspielt.  (© Foto: Dublin, The National Gallery of Ireland gemeinfrei, Wikimedia Commons wikipedia.org)
Johann Zoffany: Die Porträts der Gründungsmitglieder der Royal Academy (1771–72, Öl auf Leinwand) (© Foto: gemeinfrei, wikipedia.org)

Den Zeitgeist beschreibt das Gemälde „Die Mitglieder der Royal Academy in London“ (1772): Angelika Kauffmann war Gründungsmitglied und – neben Mary Moser – die einzige Frau unter den 36 Mitgliedern der Royal Academy. Trotzdem durften weder sie noch Moser als Personen in diesem Bild erscheinen, da zwei männliche Aktmodelle dargestellt waren. Da Frauen männliche Aktmodelle nicht sehen durften, wurden die beiden als Bildnisse hineingemalt. Gleichzeitig wurde ihr aber vorgeworfen, sie sei „in der Anatomie des Nackten ungewiß“ – schwierig zu erfüllen, wenn man nicht hingucken darf!

Neben der Grenzgängerin, der Kosmopolitin, der weltläufigen Künstlerin gab es noch eine weitere Facette, die den Mythos „Angelika“ ausmachte, der „sweet daugher oft the mountains“4.

Der Ort Schwarzenberg, damals ein kleines Dorf im Bregenzerwald, war der Geburtsort des Vaters. Er wurde für Kauffmann zur „Seelenheimat“ und sie hat sich mehrmals und unterschiedlich alt in der dortigen Tracht gemalt. Viele ihrer Bekannten und Bewunderer schwärmten von ihrer ländlichen Herkunft und unterstellten damit verbunden „eine natürliche Arglosigkeit“. Eine Freundin berichtet, Kauffmann habe den Wunsch geäußert, dass sie „dort gern ihr Leben zu beschließen (würde)…, denn die Menschen leben da unschuldig, wie die Kinder.“ Diese Verbundenheit wirkt umso überraschender, als sie nur dreimal in ihrem ganzen Leben dort war und jeweils nur zu kurzen Besuchen. Trotzdem hat sie brieflich und finanziell Kontakt mit Verwandten gehalten, ihnen einen Großteil des Erbes vermacht sowie eine Stiftung in Schwarzenberg gegründet.

Nun passt diese idyllisch-ländlich inszenierte angebliche Herkunft und die scheinbar „natürlich ländliche Einfalt“ und Arglosigkeit, die man der „sweet daugher of the mountains“ zugeschrieben hat, hervorragend in die zeitgenössische Haltung der „Empfindsamkeit“ und hat sicher auch zum Erfolg des Mythos „Angelika Kauffmann“ beigetragen. Auf der anderen Seite fällt auf, dass dieses Bild in krassem Gegensatz zu ihrem tatsächlichen von Konkurrenz, klugem Taktieren und Ehrgeiz geprägten Leben in internationalen Großstädten steht. Neben dem damaligen Zeitgeist („zurück zur Natur“), den Projektionen ihrer Zeitgenossen und der eigenen bewussten Arbeit an ihrem Image, handelt es sich hier vielleicht auch um eigene unbewusste, rückwärtsgewandte Idealisierungen in einem globalisierten Leben? Der Versuch, sich tief zugehörig zu fühlen? Ziemlich modern: das Zurück zum scheinbar „authentischen“ Leben, die Sehnsucht nach Wurzeln…

Ein paar Tage in und um Schwarzenberg lohnen sich auch für uns heute aus mehreren Gründen:

  • In der Pfarrkirche Schwarzenberg existieren noch die Apostelfresken, die die Malerin mit 16 Jahren gestaltete und das später entstandene, der Kirche gewidmete Hochaltarbild. Eine noch zu Lebzeiten geschaffene Büste erinnert an sie.
  • Das Angelika-Kauffmann-Museum zeigt wechselnde Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen.
  • Ein musikalisches High-Light ist die Schubertiade Schwarzenberg Hohenems, die (fast) alljährlich stattfindet und Musik auf international hohem Niveau präsentiert.
  • In Egg, nur ein paar Kilometer entfernt, unbedingt probieren – das Sonntagsgasthaus Adler Grossdorf.at
  • Und nicht zuletzt: Die Landschaft, die Architektur, besonders die Mischung aus Tradition, Handwerkskunst und Moderne – am besten erwandern!

Angelika Kauffmann traf mit ihrer Malerei den Geschmack der Menschen zwischen Rokoko und Klassizismus. Manches wirkt auf uns wie das „hameau de la reine“ von Marie Antoinette, aber es lohnt sich, genau hinzuschauen. Berühmt wurde sie als Porträtmalerin und die besten ihrer Porträts (z. B. Goethe, Winckelmann, Garrick) zeigen häufig die Menschen hinter ihrem Ruhm, eher psychologisch als heroisch. In ihren Selbstporträts kann man verfolgen, wie eine Frau sich zunehmend ihrer Rolle als Künstlerin, als Malerin bewusst wird. Und sie überspringt eine weitere Grenze und beschäftigt sich mit der Historienmalerei, die als „Königsdisziplin“ gilt, nach dem Zeitgeist nicht unbedingt für Frauen geeignet. Ihre Inhalte sind uns häufig nicht mehr geläufig, scheinen uns manchmal langweilig. Ein Vergleich der Umsetzung dieser Themen bei verschiedenen Malern, zeigt aber teilweise interessante Unterschiede zwischen den oft heroischeren Helden und Kauffmanns Sicht der Geschichte.

Neugierig geworden? Wenn Sie die Bilder dieser ungewöhnlichen Frau sehen möchten, dann müssen Sie auch die ein oder andere Grenze überwinden – allerdings nur Ländergrenzen. Bilder von Angelika Kauffmann finden Sie u. a. hier:

Viele spannende und anregende Momente auf den Spuren einer faszinierenden Frau und Grenzgängerin!

1. Herder, Johann Gottfried

2. Goethe, Johann Wolfgang, allerdings mit der Einschränkung „unglaubliches, für ein Weib Wirklich ungeheures Talent“. Der Status des Genies – damals sehr en vogue – wurde nur Männern zugestanden.

3. Reynolds, Joshua

4. Keate, George


Claudia Spurk

Claudia Spurk studierte an der Mannheimer Universität Psychologie, Pädagogik und Soziologie und erhielt dort das Diplom in Psychologie. Sie arbeitete mehrere Jahrzehnte als selbständige Trainerin, Coach und Organisationsentwicklerin in Unternehmen und Organisationen der Branchen Automobil, Stahl, Fernsehen u.a.. Seit einigen Jahren schreibt sie Artikel über Frauen mit ungewöhnlichen Biografien und weitere gesellschaftliche Themen und engagiert sich am Verlag J. G. Seume.

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