Mei Spróóch

Peter Winterhoff-Spurk // März 2019

Moselfränkisch – ein europäischer Dialekt

Idealbild Karls des Großen mit erst lange nach seinem Tod hergestellten Teilen der Reichskleinodien, gemalt 1513 von Albrecht Dürer im Auftrag seiner Vaterstadt Nürnberg (© Foto: gemeinfrei, wikipedia.org)

Als der kleine Karl, der später mal „der Große“ genannt werden sollte, sich im Jahr 755 beim Spielen auf dem elterlichen Anwesen einen Milchzahn ausschlug – was mag er da gerufen haben? „Homines sumus, non die“? Oder doch eher: „Droff geschass“? Vermutlich Letzteres, denn seine Muttersprache soll Fränkisch gewesen sein. Und der derbe Fluch – Übersetzung unnötig – findet sich bis heute im Wörterbuch des Moselfränkischen. Dieses Moselfränkisch wiederum ist ein Kind des Altfränkischen.

Wie man Altfränkisch angesichts eines ausgeschlagenen Zahns geflucht hat, wissen wir natürlich nicht. Schon gar nicht, was am Königshof der Eltern an derben Sprüchen erlaubt war. Moselfränkisch dagegen wird heute noch von rund drei Millionen Menschen im belgisch-deutsch-französischen-luxemburgischen Grenzraum gesprochen. Es gilt als einer der lebendigsten Dialekte Deutschlands. In Luxembourg ist es sogar eine der drei Nationalsprachen. Es hat Lehnwörter aus dem Keltischen (koa- Schubkarre), Lateinischen (Viez – vice vinum), Französischen (Pottmannee – Portemonnaie) und Jiddischen (Zores- Ärger). Das Motto ‚Mir schwätze Platt‘ ist also der Gebrauch eines historisch und regional tief europäisch geprägten Dialekts. Und Charlemagne ist gewissermaßen sein Urgroßvater.

Verbraitig vum Moselfränkisch mit dr Biet, wu op un of/„auf“ giltet. (© Foto: gemeinfrei, wikipedia.org)

Dem Zugereisten allerdings kommt zuerst manches Spanisch vor. Dass ‚et‘ eine Frau meint, dass ‚nehmen‘ konsequent durch ‚holen‘ ersetzt wird (und einem bis heute niemand erklären kann, warum das so ist), dass ‚Bädseechersalat‘ Löwenzahnsalat ist, dass ein ‚Flappes‘ ein Spaßvogel ist, dass ein ‚ Laitsgeheier‘ eine Nervensäge ist u.v.m.(vgl. → moselfranken.hpage.de). Aber es ist ein, ja, manchmal fast märchenhafter Dialekt, weil er etwas altertümlich daher kommt, bildhaft und humorvoll ist und voller Lebensweisheiten steckt. (Der Autor schafft es an dieser Stelle nicht, auf die Erwähnung einer für Norddeutsche äußerst schwierigen Situation zu verzichten: Erstmals bei einer moselfränkischen Familie zu Gast, reicht der Hausherr nach einem guten Essen ein Tablett mit Hundsärsch mit den Worten herum ‚Ei, holle se sich doch enner runner!‘ – ‚Hier? Jetzt?‘ wird er entsetzt fragen und die Antwort erhalten ‚Jo, das dut gudd nach‘m Esse!‘.)

Das Überraschende ist: Die moselfränkisch sprechenden Saarländer hören es nicht sonderlich gerne, wenn man ihren Dialekt schätzt. Sprachlich gesehen, wären sie wohl lieber Hannoveraner oder Hamburger. Oder Bielefelder.

Glücklicherweise ändert sich das langsam wieder. Die Globalisierung bringt gerade in den Grenzregionen die Menschen wieder zu ihren Wurzeln zurück. Ein wunderbares Beispiel ist ein Lied des moselfränkischen Chansoniers Hans-Walter Lorang, der ‚Mosel-Fränkie‘ besingt das Moselfränkische so:

Mei Spròòch
Mei Spròòch, die is ganz äänfach
Mei Spròòch, die is nét schwer
Mei Spròòch, dat is en Stick von óus
Un eich schwätzen se gäär
Mei Spròòch hann se ma ginn
Die wo vor mir woar´n
Un gesaat: Paß gudd dróff óff
Sonschd geht se da valoar
Mei Spròòch braucht nét vill Werta
Se macht nét vill daher
Se saat dat wat se denkt
Doch dat heert nét jeder gäär
Mei Spròòch vasteht nét jeda
Nur der der wo aach maan
Nur dem der wo en Spròòch hat
Dem kann se ebbes saan
Mei Spròòch dat is óusa Land
Dat is da Boddem unna óusan Féiß
Mòòl schwer wie Lehm mòòl leicht wie Sand
Mòòl Felsen unn mòòl Gréiß
Mei Spròòch, die is ganz äänfach
Mei Spròòch, die is nét schwer
Mei Spròòch, dat is en Stick von óus
Un eich schwätzen se gäär
Mei Spròòch vasteht nét jeda
Nur der der wo aach maan
Nur dem der wo en Spròòch hat
Dem kann se ebbes saan
Mei Spròòch
Karte der Dialekte im Département Moselle (Lothringen, Frankreich) (© Foto: gemeinfrei, wikipedia.org)

Am Beispiel des Moselfränkischen zeigt sich auch immer der Stand des politischen Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich: Dialekte waren in Frankreich nach der französischen Revolution nicht mehr wohlgelitten. Der französische Zentralismus verlangte – ab 1794 – eine einheitliche Sprache für die ganze Nation. Natürlich gingen die Regionalsprachen und –dialekte nicht unter. Die Kinder lernten und sprachen in der Schule Französisch und daheim ihren regionalen Dialekt. Für Lothringen war das Jahr 1871 sprachpolitisch eine Wende: Die Deutschen machten Deutsch 1872 zur Amtssprache und entsprechend erfolgte der Schulunterricht auch auf Deutsch.1918 – Lothringen war nun wieder französisch – kam eine erneute Wende. Wie zuvor der Gebrauch des Französischen wurde nun das Deutsch sprechen der Schüler streng bestraft .Für 22 Jahre war nun wieder Französisch Amts- und Schulsprache – bis 1940. Da ging es bis 1945 wieder anders herum, nunmehr war das Französische verboten, sein Gebrauch wurde streng bestraft. Nach Kriegsende griff wieder die restriktive französische Sprachpolitik, Deutsch und verwandte Dialekte verschwanden aus Schule und Politik. Das entsprach allerdings auch der politischen Großwetterlage: Zu gravierend waren die Folgen des Krieges und der deutschen Besatzung im Bewusstsein der Bevölkerung. Kaum ein Kind lernte in diesen Jahren von den Eltern oder Großeltern noch Platt.

Erfreulicherweise ändert sich das aber seit den 90er Jahren wieder, insbesondere das Platt – also der Dialekt – findet beiderseits der deutsch-französischen Grenze wieder alte und neue Freunde. So kann man sich nur wünschen, dass dieser warmherzige Dialekt seine grenzüberschreitende  Funktion neu erfüllen kann. Es ist ja: ‚Dieselwich Spròòch‘!

De Grenz
Daselwich Boddem
Dieselwich Stään
Dieselwich Hecken
Dieselwich Bääm
Daselwich Wénd
Daselwich Reen
Dieselwich Vichel
Die wo fléin
Von dò no héi
Von héi no dò
Dieselwich Spròòch
Dieselwich Fròh:
Wo is dann lò
En Grenz?
Grenzen
Hat da Mensch erfónn
Do kamma mòòl gesinn
Wie dómm
Der is.
Projekt ‚Steine an der Grenze‘, Paul Schneider: Durchblick (1987) (© Foto: gemeinfrei, wikipedia.org)

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