Grenzerfahrungen

Volker Hildisch // April 2017

Point Alpha © Foto: Volker Hildisch

Der amerikanische Präsident Donald Trump will einen Sperrzaun an der Grenze zu Mexiko bauen, in Moskau spricht man von einem Rückfall in die Zeit des kalten Krieges, in Nordkorea droht die Regierung mit einem Atomkrieg – solche Gedanken schießen einem durch den Kopf, wenn man im Frühjahr 2017 an einem Ort in der Mitte Deutschlands steht, der einmal als der heißeste Punkt im Kalten Krieg galt: „Point Alpha“ in der Rhön.

Hier, am ehemaligen „Eisernen Vorhang“, wo jederzeit der Dritte Weltkrieg hätte ausbrechen können, sind nur noch die Überreste der Demarkationslinie zwischen Nato und Warschauer Pakt zu erkennen. Man wandert durch eine sanft hügelige Landschaft, vorbei an den Resten von DDR-Grenzanlagen und einem verlassenen US-Camp über den ehemaligen Kolonnenweg der DDR-Grenztruppen wie durch ein Freiluftmuseum der deutschen und europäischen Geschichte.

Point Alpha Camp © Foto: Volker Hildisch
Point Alpha Camp © Foto: Volker Hildisch

Heute ist „Point Alpha“ eine Gedenkstätte. Die Baracken der Wachmannschaften und der Beobachtungsturm, von dem aus der Militärfunk der Truppen des Warschauer Paktes abgehört wurde, sind komplett erhalten und zu besichtigen. In den 60er Jahren war “Point Alpha“ von den US-Streitkräften zu einem der wichtigsten Beobachtungsposten unmittelbar an der „Zonengrenze“ ausgebaut worden. Heute ist das Bedrohungsszenario aus der Zeit Anfang der 1980er Jahre, das man in einer kleinen Ausstellung sehen kann, kaum noch vorstellbar: Truppen des Warschauer Paktes planten angeblich von Thüringen aus, mit russischen Atomraketen des Typs SS 20 im Rücken, einen Panzerangriff auf die Lücke von Fulda („Fulda Gap“) in Richtung Frankfurt, Westdeutschland wäre in der Mitte geteilt gewesen. Als Antwort auf dieses Bedrohungsszenario stationierten die USA unter massivem Protest in der BRD Pershing II Raketen und planten auf Befehl von Präsident Ronald Reagan Gegenmaßnahmen, u.a. mit taktischen Atomwaffen.

Fulda Gap © Foto: Volker Hildisch

Wandert man von „Point Alpha“ über den ehemaligen Kolonnenweg weiter zum wenige hundert Meter entfernt liegenden “Haus auf der Grenze“, verliert man dieses gruselige Szenario schnell wieder. Denn das Interesse wird auf die Reste von ehemaligen DDR-Grenzschutzanlagen gelenkt, die im Laufe der Zeit immer perfekter, zum Teil mit Selbstschussanlagen, ausgebaut wurden. Zwischen den Zäunen wurden auch Hunde an Laufleinen eingesetzt, um potenzielle Flüchtlinge zu erwischen. Im blauen Haus an der Grenze erfährt man dann mehr über das Leben im damaligen Sperrgebiet sowie die geschichtlichen und militärischen Zusammenhänge.

Point Alpha Camp © Foto: Volker Hildisch
Point Alpha Camp © Foto: Volker Hildisch

Von dort aus kann man dann noch auf einem anderthalb Kilometer langen „Weg der Hoffnung“ weitergehen. 14 monumentale Skulpturen des Künstlers Ulrich Barnickel markieren ein Stück des früheren Todesstreifens zwischen Hessen und Thüringen. Sie sollen die biblische Geschichte von Jesu Verurteilung bis zu seinem Tod am Kreuz und der Grablegung nachzeichnen und damit an die Opfer von Willkür und Unterdrückung erinnern.

14 monumentale Skulpturen des Künstlers Ulrich Barnickel © Foto: Volker Hildisch

Wanderer, die noch mehr Grenzerfahrungen machen möchten, können den knapp 14 Kilometer langen, nicht allzu schwierigen „Point-Alpha-(Rund-)Weg“ gehen und kommen dabei auch nach Geisa, dem ersten thüringischen Dorf hinter der Grenze. Hier hat die Gesellschaft ihren Sitz, die all die oben beschrieben Einrichtungen betreibt – die Point Alpha Stiftung, die 2008 von den Ländern Thüringen und Hessen mit Unterstützung des Bundes gegründet wurde.

Schloss Geisa © Foto: Volker Hildisch

Im komplett sanierten Schloss Geisa betreibt sie auch eine Akademie, ein Hotel und ein Restaurant. Sie steht nach eigenen Angaben „für den untrennbaren Zusammenhang von Frieden und Freiheit in Europa mit der Vollendung der deutschen Einheit in demokratischer Selbstverwirklichung. Kein Ort eignet sich besser für die Vermittlung dieser Botschaft als der Punkt, an dem die Teilung Deutschlands, Europas und der Welt über Jahrzehnte hinweg in einer hautnahen Konfrontation der Machtblöcke kulminierte“. Wer sich bei dieser Intonation an die CDU und ein wenig an das „Kuratorium unteilbares Deutschland“ erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch. Eine der treibenden Kräfte in Stiftung und im 2003 gegründeten „Kuratorium Deutsche Einheit“ ist die ehemalige CDU-Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht. Jedes Jahr vergibt das Kuratorium auch den „Point-Alpha-Preis“, in diesem Jahr am 17. Juni in einer öffentlichen Veranstaltung dem Liedermacher Wolf Biermann. Zu den bisherigen Preisträgern gehörten u.a. George Bush, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl, Freya Klier, Helmut Schmidt, Felipe Gonzalez, Lech Walesa und Wolfgang Schäuble.

Peace Frieden Kunstwerk © Foto: Volker Hildisch

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