Fronkraisch?

Peter Winterhoff-Spurk // Dezember 2018

‚Nichts‘ – antworten Saarländer häufig, wenn man sie fragt, was denn das Französische an Ihrem Land sei. Der Zugezogene stutzt, ist er doch nicht selten eben wegen des französischen Flairs – ‚sarrois vivre‘ – hierher gezogen. Fremd- und Selbstwahrnehmung liegen offenbar weit auseinander.

„Steine an der Grenze“ zwischen dem Saarland und Lothringen.  Auf diesem Grenzweg werden die Spaziergänger zweisprachig begrüßt. (© Foto: Volker Hildisch)

Setzt man nach, hört man als Antwort, nach einem Moment des Nachdenkens: ‚Die Franzosen‘. Und das stimmt ja auch: Rund 18.000 Franzosen pendeln täglich zur Arbeit ein – die Großregion Saar-Lor-Lux ist immerhin der zweitgrößte grenzüberschreitende Arbeitsmarkt Europas. Und sie kommen als Kunden: Etwa ein Drittel ihres Umsatzes machen die grenznahen saarländischen Geschäfte mit ihnen.

Gut, also die Franzosen. Was noch? Die Befragten räumen ein: Zugegeben, die regionale Küche und die Freude an gutem Essen seien möglicherweise auch französisch beeinflußt. Nicht umsonst sagt der Volksmund hier, ‚Mir wisse, was gudd is‘ und ‚Hauptsache, gudd gess …‘. Es gibt auch ein noch überzeugenderes Argument: Nirgendwo in den Flächenstaaten der Republik ist die Zahl der Restaurants mit Michelin-Sternen pro Kopf so hoch wie im Saarland: 8 Sterne erleuchten das Land 2018 kulinarisch. 124.273 Saarländer pro Stern. Und als Dreingabe: Acht Bib Gourmandes – das ist schon mal eine Ansage. Die Franzosen und ihre Küche – das soll wirklich alles sein? Der Zugereiste denkt: Frankreich hat doch, schon nach erstem Eindruck, so viel mehr Spuren im Saarland hinterlassen.

Da ist zum Beispiel die Architektur: Der berühmte Barock-Baumeister Friedrich-Joachim Stengel (1694-1787), beispielsweise, wurde von seinem Landesherrn Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken (1718-1768) nach Versailles geschickt – zum Studium der Architektur. Das hat sich in seinen zahlreichen Bauten im Saarland niedergeschlagen – wie etwa in der Gestaltung des wunderschönen Ludwigsplatzes in Saarbrücken. Oder die ehemalige französische Botschaft an der Saar, ein Bau des Le Corbusier-Freundes Georges-Henri Pingusson – bis heute ein architektonisches Schmuckstück der Stadt.

Oder das kulturelle Leben des Saarlandes: Die Franzosen haben die Schule für Kunst und Handwerk gegründet, aus der die Hochschule der Bildenden Künste hervorging. Desgleichen geht die Hochschule für Musik – 1947 nach Vorbild des ‚Conservatoire de Paris‘ gegründet – auf eine französische Initiative zurück. Schließlich die Universität des Saarlandes: Sie wurde 1947 als Außenstelle der ‚Université de Nancy‘ in Homburg gegründet. Alle drei prägen nach wie vor mit frankophilen Aktivitäten das kulturelle Leben des Landes.

Und heute? Es gibt die deutsch-französische Hochschule, eines von drei deutsch-französischen Gymnasien Deutschlands, rund 200 zweisprachige Kindergärten, mehr als in jedem anderen Bundesland. Französisch ist Pflichtfach in den Grundschulen, darüber hinaus existieren zahlreiche bilinguale Angebote an weiterführenden Schulen. Der Saarländische Rundfunk produziert – neben vielen allgemeinen medienpolitischen deutsch-französischen Aktivitäten – regelmäßig grenzüberschreitende Sendungen für Fernsehen (‚Wir im Saarland. Grenzenlos‘) und Hörfunk (u.a. Sendungen „Rendezvous Chanson“, „Voyages“, „HörspielZeit“ sowie das deutsch-französische Magazin „ici et là“).

Einrichtungen und Einflüsse zu Hauf, aber was kommt davon bei den Saarländern wirklich an? Also: Was ist das Französische an ihnen? Was dem Fremden zunächst auffällt, sind die vielen Familien mit französisch-wallonischen Wurzeln im Lande: Die Berangs, Commerçons, Deschamps, Detemples, Duponts, Grandmontagnes, Lafontaines, Villeroys. Sie und die anderen Saarländer verwenden bis heute zahlreiche Wörter, die aus dem Französischen stammen: Dussma (= ‚doucement‘), Flemm (= ‚avoir la flemme‘), Hissje (= ‚huissier‘), Kulong (= ‚couler‘), Plummo (= ‚plumeau‘), Pussieren (= ‚pousser‘), Schesselong (= ‚chaise longue‘), ‚Budding‘ (= ‚boudin‘). Der Saarländer ‚hat kalt‘ (j’ai froid‘), wenn er bei winterlichen Temperaturen ‚der Butter‘ (‚le beurre‘) kaufen will. Er und sie sagen ‚Merci‘ und ‚E gudden bonjour‘, aber niemals ‚Salu‘!

Café Paris (© Foto: Volker Hildisch)

Und Saarländer kaufen gerne in Frankreich ein: Baguette, Fisch, Fleisch, Käse, Weine, Champagner und Crémant schmecken einfach besser, wenn man sie jenseits der Grenze gekauft hat. Saarländer wohnen, arbeiten und feiern in Orten mit französische Namen: Beaumarais, Picard, Saarlouis. Saarländer haben Häuser kurz hinter der Grenze und Ferienhäuser an den lothringischen Weihern, fliegen in einer Stunde vom Flughafen Metz/Nancy an die Côte d‘Azur oder fahren in einer Stunde und 50 Minuten mit dem TGV nach Paris. Sie feiern das deutsch-französische Festival der Bühnenkunst ‚Perspectives‘, das Festival“ Loostik“ mit deutschen und französischen Theaterstücken für Kinder, den Bal populaire am 14. Juli, die Fête de la Musique , das Weinfest Beaujolais Primeur – und die Siege der ‚equipe tricolore‘, wenn’s nicht gerade gegen die deutschen Jungs geht. Sie gehen in Forbach ins Theater ‚Carreau‘, nach Metz ins ‚Centre Pompidou‘ und nach Strasbourg auf den Weihnachtsmarkt. Spitze (südfranzösische) Zungen behaupten ferner, daß es in der Mode einen spezifischen Stil ‚sarro-lorraine‘ gäbe – mit allerlei bunten Schnällchen, Volants am ‚Hinnern‘ und glitzernden Pailletten. Auch hautenge Leggings erfreuen sich in allen Kleidergrößen und Altersgruppen großer Beliebtheit.

Ist das alles wirklich ‚Nichts‘? Sicher, nicht alle machen alles, es ist wohl eher so – je näher an der Grenze, je höher die formale Bildung, umso mehr. Und manches mag aufgesetzt, gar inszeniert sein. Aber auch darin zeigt sich ja eine besondere Note, denn die Inszenierungen sind eben französisch und nicht italienisch oder englisch oder sonst was.

So drängt sich der Gedanke auf, dass das Französische im Saarland längst assimiliert ist, gewissermaßen eingewachsen in die normale saarländische Identität. ‚Fronkraisch‘ ist – zumindest ein wenig – Alltag im Saarland. ‚Sarrois vivre‘ eben.

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