Freiheit – Ein Appell

Peter Winterhoff-Spurk // Juni 2022

Die Freiheit führt das Volk, Eugène Delacroix, 1830 (© Foto: gemeinfrei, wikipedia.org)

„Warum schreibe ich mit 88 Jahren noch ein Buch – ein Buch über die Freiheit?“ Mit dieser Frage beginnt der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum sein Buch. Und antwortet sogleich: Es sind die Katastrophen und Kämpfe des 20. Jahrhunderts. „Sie haben die Freiheit zu meinem Lebensthema gemacht“ (S.7).

Eindrucksvoll beschreibt er seine Kindheitserinnerungen im nationalsozialistischen Dresden, die ihn geprägt haben: Vormilitärischer Drill beim Jungvolk, Aufmärsche und Großkundgebungen, antisemitische Atmosphäre – bis zum verheerenden Bombenangriff am 13. Februar 1945. Danach war das geordnete Leben in einem – wie er schreibt – idyllischen Umfeld vorbei. „Mußte man gestern noch Strafe fürs Schwarzfahren in der Straßenbahn zahlen, so lagen am Tag danach Tausende von Toten vor dem Trambahnhof. Sie wurden am Altmarkt verbrannt“ (S.8).

Ein väterlicher Freund, der Historiker Adolf Grote, nahm sich seiner an – der Vater war ja im Krieg geblieben – und öffnete ihm die Augen über das Nazi-System. „An manchen Tagen“, schreibt Baum (S.9), „war die Scham über die deutsche Schuld so überwältigend, dass ich wünschte , kein Deutscher zu sein.“ Aus der Wut über die Verbrechen der NS-Zeit wurde durch den Einfluss seines Mentors seine „kämpferischen Leidenschaft für die Freiheit“ (S.9).

Vor diesem Hintergrund muss man seinen politischen Lebenslauf sehen, der ihn zuerst zu den `Deutschen Jungdemokraten`, deren Vorsitzender er eine Zeit lang war, später in die ‚Mutterpartei‘ führte. In dieser Zeit hat er 1971 das sog. ‚Freiburger Programm‘ der FDP mit Anderen formuliert und innerparteilich durchgesetzt. Spätere sozialliberale Wegzeichen seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter, als Parlamentarischer Staatssekretär und als Bundesinnenminister waren die Abschaffung des Radikalenerlasses und die Erarbeitung des ersten Bundesdatenschutzgesetzes.

„Die Welt ist aus den Fugen geraten“, mit diesem Satz eröffnet Baum seinen Blick auf die Gegenwart und führt an: Kriege, massive Menschenrechtsverletzungen Flüchtlingsströme, Wirtschaftskrisen, Klima- und Umweltkatastrophen. Alles dies gefährde die Freiheit, fördere autoritäre Strukturen und politisches Personal in der Art von Trump. Auch die dunklen Seiten des Internets, vor allem die Macht der Digitalkonzerne, bedrohten die aufgeklärte Demokratie, wie sie im Grundgesetz vom Mai 1949 festgelegt ist.

Bedrückend ist seine Analyse der Veränderungen in der Parteienlandschaft: Die extreme Rechte sei nicht mehr ausschließlich terroristisch tätig, vielmehr fänden sich immer wieder rechtsextreme Netzwerke bei der Polizei, der Armee und den Geheimdiensten. Dies habe zu einer ‚Verrohung der Mittelschichten‘ beigetragen, rechtsextreme Positionen seien inzwischen dort anschlussfähig geworden. So verwundert es nicht, dass Baum klare Kante gegenüber der AfD zeigt: „Das Ziel dieser Partei ist, unsere Ordnung zu beseitigen. Da gibt es nichts zu beschönigen“ (S.51).

Ein weiteres Thema des Buches ist die Digitalisierung. Der Autor sieht die enormen Möglichkeiten, die in alle Lebensbereiche hineinwirken, aber er macht auch auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam. Mit dem Bundesverfassungsgericht fordert er ‚informationelle Selbstbestimmung‘, also die Herrschaft der Bürger über alle ihre Daten weltweit. Und immer wieder weist Baum auf die individuelle Verantwortung eines jeden Staatsbürgers zur Verteidigung der Freiheit hin, auch im Prozess der Digitalisierung.

Ein besonders wichtiges Kapitel steht unter der Überschrift ‚Kultur und Freiheit‘. Ausgehend von den existentiellen Bedrohungen der Kulturszene durch die Pandemie betont er die Wichtigkeit der Kultur: „Die Freiheit der Kunst ist ein Lackmustest für den Zustand der Demokratie. Kultur ist Lebenselixier, ihr Motor“ (S.100). Sie gebe Orientierung, sei oft anstößig, zugleich aber zukunftsorientiert und weltoffen. Und: „Kunst hat den Anspruch, die Umstände des Menschseins … zu bereichern und zu verbessern. Kunst ist ein gärendes Ferment, das die Gesellschaft vor dem Stillstand bewahrt und sie zur ständigen Selbstreflexion zwingt“ (S. 101).

Mit der Forderung an den Leser, in Fragen der Menschenrechte, des Völker- und Asylrechts auch über den nationalen Tellerrand hinauszuschauen kommt Baum unter der Überschrift ‚Quo vadis, FDP?‘ zu einer abschließenden Analyse seines Verhältnisses zur Partei und seinen Forderungen hinsichtlich der zukünftigen Ausrichtung. ‚Empathischer Liberalismus‘ nennt er die notwendige Neuorientierung der FDP und knüpft damit im Grunde wieder an die Traditionen des Freiburger Programms an. Man möchte ihm wünschen, dass er sich damit Gehör verschaffen kann. Auf alle Fälle aber ist ‚Freiheit. Ein Appell‘ ein Buch, das man jedem Schulabgänger mit dem Zeugnis übergeben sollte!

Buchcover Freiheit – Ein Appell

Gerhart Baum (2021). Freiheit – Ein Appell.

Benevento Verlag, München/Salzburg, 176 Seiten, Preis 18 €, ISBN: 978-3710901249

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