Flämischer Kunsttempel mit belgischem Humor
Johan Dieleman // Januar 2023
Johan Dieleman // Januar 2023
Im September 2022 war es endlich soweit. Endlich wurde unser Kunsttempel nach 11 Jahren Renovierungs- und Erweiterungsarbeiten wiedereröffnet. Mein Traum wurde erfüllt: Ich durfte im KMSKA Museum der Schönen Künste in Antwerpen mittlerweile bereits mehr als hundert begeisterte Gruppen führen – darunter mehrere aus Deutschland.
1890 wurde das „alte“ Museum als eine Art Schatzkammer und Überblick über die Antwerpener Malerschule eingeweiht. Dass sich die Architekten von deutschen Vorbildern kunsthistorischer Museen inspirieren ließen, wird in der Gestaltung als Kunsttempel deutlich. Ein Jahrhundert später stellte sich heraus, dass Rubens' „Schatzkammer“ verschlissen war. Darüber hinaus wurde das Gebäude zu klein, um neben der ständigen Sammlung auch temporäre Ausstellungen organisieren zu können.
Die Ausstellungsfläche des Museums wurde um 40% erweitert, indem die moderne Architektur in die ehemaligen Innenhöfe integriert wurde. Kontraste und Asymmetrien wurden nicht gescheut. Die Architektin konnte auch überraschende Elemente wie die hippe „Stairway to Heaven“ hinzufügen.
Durch die Erweiterung um einen modernen Teil innerhalb des bestehenden alten Museums, konnte die ständige Sammlung in „Alte Meister“ und „Moderne“ unterteilt werden. Als Ergebnis werden dem Besucher*innen zwei bewusst gegensätzliche Museen präsentiert.
Schon vor der Wiedereröffnung wurde der überraschenden Architektur viel mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Dadurch wurde meiner Meinung nach zu wenig auf die hochwertige Sammlung selbst geachtet. Etwa 600 Objekte sind permanent ausgestellt. Allerdings umfasst die Sammlung 8.000 Objekte, sodass jedes Jahr ein Teil verändert werden kann, ohne die Qualität der Präsentation zu beeinträchtigen. Die Tatsache, dass die Sammlung aus der Antwerpener Malergilde – der Gilde des Heiligen Lukas – stammt, erklärt den großen Anteil unserer großen „alten“ Antwerpener Meister in der Sammlung (Rubens, Van Dyck, Jordaens und vielen anderen). Zeitgenössische Meister (19. Jahrhundert) waren Teil der Sammlung als das Museum eröffnet wurde, aber zunächst handelte es sich hauptsächlich um Werke im „akademischen“ oder „historischen“ Stil. Immerhin war das Museum die Fortsetzung des Museums der Antwerpener Akademie der Schönen Künste. Auf die Avantgarde-Künstler in der Sammlung mussten wir etwas warten. Im Laufe des 20. Jahrhunderts konnte das Museum seine moderne und zeitgenössische Sammlung weiter ausbauen.
Bei der Renovierung des „alten“ Museums wurden die historischen Sitzbänke, Parkettböden, Stuckverzierungen und Wandverkleidungen behutsam restauriert bzw. von den alten Vorbildern kopiert, sodass das „alte“ Tageslichtmuseum wieder zu neuem Glanz erstrahlt. Die international beachtete Spitzensammlung „Alter Meister“ umfasst eine Fülle von Spitzenwerken von P.P. Rubens und seinen barocken Zeitgenossen und Nachfolgern, zeigt aber auch Kostbarkeiten der flämischen Meister des 15. Jahrhunderts wie Jan Van Eyck und Hans Memlinc sowie der Antwerpener Schule des 16. und 17. Jahrhunderts. Diese „alten Meister“ werden in einer thematischen Anordnung mit zivilen und religiösen Themen gezeigt, oft im Dialog oder in Konfrontation mit „Modernen“.
Die Madonna von Jean Fouquet ist mehr oder weniger das Aushängeschild des Museums, wie die Mona Lisa für den Louvre. Dies ist die rechte Tafel eines Diptychons aus dem 15. Jahrhundert, dessen linker Flügel in der Gemäldegalerie in Berlin steht. Dort wurden die beiden Gremien 2017 vorübergehend wieder vereint. Jetzt ist die arme einsame Madonna wieder da und dieses Mal für immer von ihrer anderen Hälfte getrennt.
ModernenDurch die Erweiterung des Gebäudes erhielten die „Meister der Moderne“ einen eigenen Ausstellungsraum. Für manche Besucher ist der leicht spiegelnde weiße Boden gewöhnungsbedürftig, dafür bieten die weißen Räume aber auch ein starkes (vertikales) Raumerlebnis. Der große Raum, der den ausgestellten Werken eingeräumt wird, kommt dem Besuch sehr zugute.
Belgische und europäische Künstler des 20. Jahrhunderts werden thematisch anhand der visuellen Mittel eines Künstlers vorgestellt: Licht, Form und Farbe. Einige Namen, die Ihnen bekannt vorkommen werden: Otto Piehne, Günter Ucker, Anselm Kiefer, Georges Grosz, aber auch René Magritte, Henry Van de Velde und Modigliani. Übrigens treten die „Modernen“ auch mit den „alten Meistern“ in einen Dialog.
Das Museum präsentiert auch die größte Sammlung von James Ensors Werk: Der Vorläufer der belgischen Moderne verfügt über mehrere eigene Räume. Spitzenwerke aus dieser Ensor-Sammlung waren bereits während der Renovierungsarbeiten in Basel, Düsseldorf, Stuttgart und Mannheim zu sehen.
Belgischer HumorVor der Eröffnung wurde ich gebeten, französischen Journalisten das Museum zu zeigen. Die seriöse Zeitung „Le Monde“ widmete dem Museum einen Artikel, dessen erster Satz etwa so lautete: „Belgischer Humor wird allgemein geschätzt“. Grund für diesen Kommentar war ein absichtlich schief aufgehängtes Gemälde. Weil ein in dem Genrebild zu sehender betrunkener Mann von seinem Hocker gerutscht war und daher alles schief sah, wurde auch das Gemälde schief aufgehängt. So sah der Betrunkene alles wieder gerade. Es dauerte aber eine Weile, bis unsere französischen Freunde dieses Augenzwinkern verstanden.
Der belgische Künstler und Operndirektor, Christoph Coppens, entwarf 10 überraschende Installationen, die eine Vergrößerung von Details einer Reihe von Werken darstellen. Kinder lieben es und können darauf oder darin krabbeln und so das Museum spielerisch erleben. Auch „große“ Kinder machen gerne ein „Selfie“ auf den Dromedaren, die auf die Anbetung der Heiligen Drei Könige durch den großen Meister im Rubenssaal hinweisen.
Anmerkung des Verlags: Der Text ist erschienen im Blog johandieleman.com, 2022 – mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers, Johan Dieleman
Johan Dieleman wuchs in Antwerpen auf, studierter Wirtschafts- und Handelsingenieur und arbeite 20 Jahre im Marketing und Vertrieb der Branchen Telekommunikation, Chemie und Metall in Europa. Seit über 10 Jahren ist er als selbständiger, Stadtführer und Reiseleiter tätig. Seine Führungen sind lustig, informativ und kurzweilig. Eine Weile mit ihm unterwegs sein ist die beste Garantie um Flandern, Brüssel und Belgien wirklich zu entdecken.
Mehr auf seiner Webseite johandieleman.com
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Eingelesen von Matthias Girbig
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